OT: Polisse
F 2011
Regie: Maïwenn
Drehbuch: Maïwenn, Emmanuelle Bercot
Darsteller: Karian Viard, JoeyStarr, Maïwenn, Marina Foïs, Nicolas Duvauchelle, Emmanuelle Bercot, Karole Rocher
Laufzeit: 127 Minuten
Das Leben schreibt nicht nur die schönsten und unglaublichsten Geschichten, es ist zugleich auch für die traurigsten, grausamsten und erschreckendsten Geschichten verantwortlich. Gebündelt treffen diese Erfahrungen in der alltäglichen Arbeit einer Sondereinheit der Pariser Polizei aufeinander. Die Männer und Frauen der Jugendschutzpolizei bekommen es immer wieder mit schweren Misshandlungen, Vernachlässigungen, Zwangsverheiratungen und sexuellen Übergriffen zu tun. Der Job fordert ihnen alles ab und nicht wenige tragen das, was sie im Dienst erleben, in ihr Privatleben. Oftmals entladen sich die Anspannung und der Druck, den sie bei ihren Ermittlungen erfahren, in lautstarken Auseinandersetzungen mit Kollegen und Vorgesetzten.
In diese verschworene Gemeinschaft bricht die engagierte Fotografin Melissa (Maïwenn) ein, als sie die Erlaubnis zu einer Reportage über die Arbeit der Jugendschutzpolizei erhält. Was zunächst als reine PR-Maßnahme gedacht war, entwickelt sich schon bald zu einem engagierten Langzeitprojekt. Allmählich baut Melissa, die eigentlich nur die Position einer stillen Beobachterin einnehmen soll, eine persönliche Beziehung zu den Beamten auf. Gerade der aufbrausende, temperamentvolle Fred (JoeyStarr) hat ihr Interesse geweckt. Obwohl dieser Melissa und deren Arbeit erst recht kritisch sieht, sucht er schließlich doch ihre Nähe. Es entwickelt sich zwischen den beiden eine zarte Liebesbeziehung, die von den Ereignissen im Job nicht unberührt bleibt.
Die fragmentarische, aus vielen zum Teil erschütternden Einzelschicksalen zusammengesetzte Geschichte beruht ausnahmslos auf wahren Fällen. Gerade das Wissen um die Authentizität des Nacherzählten ist es auch, die „Poliezei“ nur schwer erträglich macht. Da berichtet ein Familienvater fast selbstverständlich wie er regelmäßig seine Tochter im Intimbereich berührt, während eine verzweifelte Mutter die Beamten darum bittet, sich um ihren Sohn zu kümmern, damit dieser nicht länger mit ihr auf der Straße leben muss. Die Polizisten flüchten sich bisweilen in Zynismus und Albernheiten, um das Erlebte so gut es geht verarbeiten zu können.
Da es hier nicht den einen großen Fall gibt, um den die Geschichte aufgebaut wurde, muss sich „Poliezei“ einen anderen roten Faden suchen. Maïwenn findet diesen in ihren Figuren. Die Beamten der Sondereinheit und ihre zum Teil ungewöhnlichen Methoden der Frust- und Stressbewältigung, ihre Gefühle und Ängste sind der narrative Dynamo dieser ungemein realistischen wie beklemmenden Milieuschilderung. Konflikte mit Vorgesetzten, welche der Arbeit der Sonderermittler nicht immer die höchste Priorität einräumen, gehören ebenso zum Alltag dieser Männer und Frauen wie die meist eher flüchtigen Momente des Glücks. Und doch gibt es sie. Hierbei ist der Zuschauer stets mittendrin im Geschehen. Eine scheinbar barrierefreie Kamera überwindet im Zusammenspiel mit den durchweg erstklassigen Darstellern jede Distanz. Dazu kommt zumindest in der Originalfassung ein Gefühl von Echtheit und Realismus, das den Film aus der Masse der Kriminaldramen und Polizeigeschichten heraushebt.
Marcus Wessel
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