Österreich 2014 - Dokumentation
Regie: Gerald Salmina, Tom Dauer
Es gibt diese legendären Orte und Arenen, von denen man auch gehört hat, wenn man sich für den speziellen Sport nicht interessiert: Wimbledon im Tennis, das Masters im Golf, Maracana im Fußball und eben die Streif beim Skisport. 1937 fand auf dem Berg oberhalb von Kitzbühel zum ersten Mal eine Abfahrt auf der Strecke statt, die auch heute noch die Basis des Wettkampfes ist, der inzwischen als Hahnenkamm-Rennen bekannt ist. Fast vier Minuten brauchte der damalige Sieger, inzwischen rasen die Sieger in weniger als zwei Minuten durchs Ziel.
Doch nicht nur die Zeiten der Sieger und damit die Technik haben sich geändert: Die Rennwoche auf der Streif ist das, was im modernen Marketingsprech als Event bezeichnet wird. Ein riesiges Spektakel, zu dem zehntausende Zuschauer in den kleinen Ort einströmen, Millionen Umsatz gemacht wird und bei dem der eigentliche Sport fast nur noch Nebensache ist. Zumindest fast, denn für die Athleten, die Gerald Salmina und Tom Dauer in ihrer Dokumentation „Streif – One Hell of a Ride“ in den Mittelpunkt stellen, wäre ein Sieg auf der Streif die Erfüllung eines Lebenstraumes. Mit pathetischen Worten wird die Bedeutung des Rennens beschworen, dass selbstverständlich das schwerste und gefährlichste überhaupt ist, das auf einem Berg statt findet, der keine Fehler verzeiht oder man kommt nicht mit heilen Knochen raus, der – wie es der Kanadier Todd Brooker formuliert – One Hell of a Ride, ein Höllenritt ist.
Dieser fortwährende Gigantismus, das ständige Beschwören von allergrößten Schwierigkeiten und der lebensgefährlichen Risiken ist man inzwischen von Filmen aus dem Hause Red Bull gewöhnt, in denen von dem Getränkeproduzenten gesponserte Sportler gezeigt werden, die Berge besteigen („Cerro Torre“) oder Wellen besiegen („Storm Surfers“) wollen. Doch vor dem Erfolg steht die harte Arbeit und so verbringt auch „Streif“ viel Zeit damit, diverse, meist von Red Bull gesponserte Athleten dabei zu zeigen, wie sie im Sommer über die Alm joggen, Gewichte stemmen oder – wie im Fall des Weißrussen Yuri Danilochkin – in bester Rocky-Manier unter widrigsten Umständen im postsozialistischen Minsk trainieren. Fast tropft in diesen Szenen das Testosteron von der Leinwand, schwingt in jeder Aussage der Machismo mit, den Red Bull gern beschwört und der sich auch durch diesen Film zieht.
Nicht unbedingt in den Momenten, in denen die Geschichte des Abfahrtsrennen nachgezeichnet wird, man in alten, körnigen Aufnahmen einen Toni Sailer, Franz Klammer oder Hermann Meier sieht und ein Gespür für die Bedeutung der Streif bekommt. Aber unzweifelhaft in den vielen, sehr vielen Szenen von Stürzen. Es mutet befremdlich an, wie viele teils spektakuläre Stürze Salmina und Dauer mit kaum verhohlener Faszination aneinanderreihen und jedes Klatschen eines Körpers auf die eisige Piste mit einem knackigen Soundeffekt noch unterstreichen. Alles nur, um noch zusätzlich zu betonen, wie gefährlich die Streif ist, um damit im Umkehrschluss die Leistung der Athleten noch heroischer wirken zu lassen.
Und so anstrengend das fortwährende Machogetue auch ist, angesichts der brillanten Aufnahmen des Rennens, den in Superzeitlupe erstarrenden Körper, die über Pisten rasen, die teils ein Gefälle von 85% haben, kann man sich der Kraft dieser sportlichen Leistung kaum entziehen. So packend sind diese Momente, dass sie eigentlich als Ode an eine Sportart gereicht hätten.
Michael Meyns
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