Deutschland 2013
Regie: Christian Schwochow
Buch: Heide Schwochow
Darsteller: Jördis Triebel, Tristan Göbel, Alexander Scheer, Jacky Ido, Anja Antonowicz
Ost-Berlin, Ende der 70er-Jahre: Nach einer letzten Demütigung durch die Grenzpolizei der DDR landen Nelly Senf (Jördis Triebel) und ihr neunjähriger Sohn Alexej (Tristan Göbel) endlich im Westteil der Stadt. Aber statt Freiheit und Konsum wartet eine unfreundliche, überlaufende Baracke: das Notaufnahmelager. Bevor die Flüchtlinge in ihr neues Leben entlassen werden, haben der britische, französische und amerikanische Geheimdienst noch viele Fragen. Im Fall von Nelly etwa: Was geschah wirklich mit ihrem russischen Freund, der vor einigen Jahren in Moskau angeblich bei einem Autounfall ums Leben kam? War er möglicherweise ein Spion? Bald fühlt sich die selbstbewusste Nelly verfolgt. Stimmt es, dass die Stasi ihre Agenten überall hat? Der einsame Hans Pischke (Alexander Scheer) lebt schon seit zwei Jahren im Lager und kümmert sich rührend um Alexej, der in seiner neuen Schule gern mal als „Ostpocke“ bezeichnet wird. Aber Nelly ist sich nicht mehr sicher, ob sie ihm trauen kann.
Das Drehbuch verfasste Christian Schwochow gemeinsam mit seiner Mutter Heide, mit der er auch schon bei seinen Filmen „Novemberkind“ und „Die Unsichtbare“ zusammenarbeitete. Ihnen gelang es, die Romanvorlage zu verdichten und Nelly Senf zur Hauptfigur zu machen, ohne dass die Geschichte an Substanz verliert. Dazu dienen vor allem die mehrdeutig schillernden Figuren, denen das Drehbuch ihre Widersprüche lässt, und die dunklen Punkte der Geschichte, die es sich nicht beeilt zu erhellen. So entsteht Schwochows bisher reifster Film, in dem er nicht mehr wie früher dazu neigt, einen ambivalenten Bedeutungsraum durch allzu durchsichtige dramaturgische Manöver zu erklären. Gerade die Offenheit der Erzählweise lässt die Vergangenheit lebendig werden und verleiht ihr Resonanz. Die Geschichte wird fast zum Spionage-Thriller, findet aber mühelos ihren Weg zurück zum intimen Charakter-Drama.
Dazu tragen ganz besonders die Schauspieler bei. Jördis Triebels Leistung ist phänomenal. Sie zeigt eine schöne, mutige Frau, die aber auch zutiefst verängstigt und verunsichert ist. Ihr Schwanken zwischen Mut, Hoffnung, Verzweiflung, Angst und Misstrauen ist ein Beispiel großer Schauspielkunst. Jördis Triebel trägt den Film mit ihrer schieren Präsenz. Überraschend der Auftritt von Alexander Scheer. Neigte er früher zum Chargieren, zum überlauten Auftritt, wirkt er hier leise und bescheiden, schüchtern beinahe. Er verleiht seinem Hans eine Melancholie, die frühere Wunden andeutet, ohne sie auszustellen.
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