Schweiz/Frankreich 2012
Regie: Ursula Meier
Darstellende: Kacey Mottet Klein, Léa Seydoux, Martin Compston, uva.
Laufzeit: 97 Minuten
Der zwölfjährige Simon fährt jeden Tag mit dem Lift vom Tal nach oben auf den Berg. Nicht um die Pisten herunter zu brettern oder die Sonne zu genießen, sondern um zu klauen. Ob Skihelm oder Skier, Anorak oder Mütze, Schal oder Sandwich - er nimmt alles mit. Und als ihn mal ein Kellner erwischt, sagt er auch warum. Ganz einfach, er verscherbelt das Diebesgut, um die notwendigen Dinge des Alltags zu kaufen - Milch, Klopapier oder Brot. Mit einer jungen Frau, die sich vor ihren diversen Liebhabern als seine Schwester ausgibt, aber in Wirklichkeit seine Mutter ist, wohnt er in einem unwirtlichen Hochhaus. Er trägt Verantwortung und sorgt für sie, er schleppt die Betrunkene nach Hause, er zahlt in einem bitteren Moment sogar in bar für eine paar zärtliche Gesten und dafür, dass er sich in ihrem Bett an sie kuscheln darf. Aber wenn seine Freunde die "Schwester" als Nutte bezeichnen, verteidigt er sie vehement.
Wie Kacey Mottet Klein den coolen Jungen mimt, der mit großen und sehnsuchtsvollen Augen zuguckt, wie eine Mutter ihren Kinder das Gesicht eincremt, das tut fast physisch weh und man leidet mit ihm. Wenn Léa Seydoux auf hohen Absätzen durchs Leben stiefelt und dabei nicht merkt, wie sie eine Kinderseele irreparabel schädigt, ihrem Sohn ins Gesicht schleudert, sie habe ihn eigentlich nicht gewollt, dann ist das so schrecklich und so kalt, das einem fast der Atem stockt. Ohne sich in plakative Bilder zu verlieren, zeigt dieses sensible Drama die Kehrseite der properen Schweiz, wo oben auf glitzernden weißen Berghängen sich die Reichen und Schönen vergnügen, während unten im grauen Tal andere ums Überleben kämpfen. Im emotionalen Stil der Dardenne-Brüder gelingt der französisch-schweizerischen Filmemacherin ein starkes Stück Kino, nicht zuletzt auch wegen der HD Kamera von Agnès Godard, die mal mit der Steadycam hastig ihrem Protagonisten folgt, dann wieder in festen Einstellungen das Alpenpanorama einfängt. Das präsentiert sich schroff und unzugänglich. Metapher für die sozialen Mauern der Gesellschaft. mk. Q: kino.de
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