Frankreich/Deutschland/Belgien 2011
Regie & Drehbuch: Vincent Paronnaud, Marjane Satrapi
Darsteller: Mathieu Amalric, Edouard Baer, Maria de Medeiros, Golshifteh Farahani, Eric Caravaca, Chiara Mastroianni, Mathis Bour, Enna Balland, Didier Flamand, Serge Avedikian, Rona Hartner, Jamel Debbouze, Isabella Rossellini, Dustin Graf, Frédéric Saurel
Länge: 91 Minuten
„Das Leben ist ein Seufzer. Es ist dieser Seufzer, den du einfangen musst.“ Diesen letzten Rat erhält der Violonist Nasser Ali Khan (Mathieu Amalric) von seinem Meister; dieser letzte Schritt von der technischen Virtuosität zur großen Kunst fehlt ihm noch. Er wird ihn machen – für einen schmerzlichen Preis allerdings – und zum berühmtesten Musiker seiner Zeit aufsteigen.
Nach dem hoch gelobten Zeichentrickfilm Persepolis (2007), in dem sie ihre eigene durch die iranische Revolution zerrissene Kindheit erzählt, versucht Marjane Satrapi in Huhn mit Pflaumen (Poulet aux prunes) einen weiteren Seufzer aus ihrer Familiengeschichte zu verarbeiten. Hier ist es die Geschichte eines Musikers und Großonkels der Künstlerin, der sich im Teheran der 1950er Jahre das Leben nahm.
Denn Nasser Ali Khan hat die Lust am Leben verloren. Kein Instrument scheint ihm die musikalische Inspiration zurück zu geben, seit seine Ehefrau (Maria de Medeiros) in einem Wutanfall seine Geige zerschmettert hat. Nachdem er vergeblich versucht hat, diese durch eine neue zu ersetzen, kommt er zum Entschluss, sich in sein Bett zu legen und auf den Tod zu warten. Um Nasser Alis letzte Tage herum entwirft Marjane Satrapi in Zeitsprüngen und Abschweifungen das gnadenlose Porträt eines Mannes, der an seinem Leben vorbeigelebt hat, gezeichnet vom Schmerz über die verlorene große Liebe (Golshifteh Farahani) und von überzogenem Egoismus in seiner Beziehung zu Frau und Kindern. Die sieben Tage vor seinem Tod gleichen einer Selbstsuche, in der er sich selbst und seine unerträgliche Egozentrik erst im Angesicht des Todesengels Azraël (Edouard Baer) erkennt.
Wieder ist Huhn mit Pflaumen eine Adaptation einer Graphic Novel von Satrapi sowie eine weitere Zusammenarbeit mit Vincent Paronnaud. Anders als im rein animierten Persepolis vermischen die beiden Autoren hier Animation mit Live Action. Überraschenderweise staffieren Satrapi und Paronnaud ihre düstere Geschichte als buntes, üppiges Märchen aus, mit einer allgegenwärtigen Märchenonkel-Erzählerstimme im passé simple, aberwitzigen Traumbildern und vielen skurrilen Exkursen auf Nebenfiguren. In den besten Momenten erinnert der schrullig-magische Erzählstil an eine Mischung aus Jean-Pierre Jeunets Die fabelhafte Welt der Amelie (Le fabuleux destin d’Amélie Poulain, 2001) und Michel Gondrys Science of Sleep – Anleitung zum Träumen (2006). Es ist der Märchen-Modus, in dem Kinderaugen das Zauberhafte im alltäglichen Leben entdecken, für das Nasser Ali blind ist: Magische Augenblicke, als der sonderbare Händler (Jamel Debbouze) mit einem Zauberstab einen Goldregen aus seinem Kronleuchter fallen lässt. Poetische Bilder wie die Schneeflocke, die auf eine Walzermelodie langsam vom Himmel in den weit aufgesperrten Mund von Nasser Alis kleiner Tochter Lili (Enna Balland) fällt.
Nicht nur in den rein animierten Passagen erkennt man Satrapis und Paronnauds Handschrift wieder. Auch die ultrakomponierten Live-Action-Szenen wie beispielsweise die düstere Einstellung auf Chiara Mastroianni am Pokertisch zeigen ihr Gespür für grafische Bildkomposition. Das Autorenduo lässt sich im besten Sinne von der Comic-Ästhetik inspirieren und wagt überraschende Bildkadrierungen, Lichtsetzungen und Schnitte.
Almut Steinlein
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