Deutschland 2005
Regie: Hans-Christian Schmid
Darsteller: Sandra Hüller, Burghart Klaussner, Imogen Kogge, Friederike Adolph, Anna Blomeier, Nicholas Reinke
Vor genau 30 Jahren fand in Deutschland zum letzten Mal ein Exorzismus statt. Eine Studentin starb, die katholischen Teufelsaustreiber kamen vor Gericht. Vor kurzem hat Hollywood den Fall mit „Emily Rose“ in der üblichen Horrortradition aufgewärmt. Jetzt präsentiert Hans-Christian Schmid seine Sicht der Dinge – sein Film war längst vorher fertig, lag wegen der Berlinale jedoch in der Warteschleife. Ganz bewusst erzählt Schmid seine Geschichte „frei nach einer wahren Begebenheit“, verlegte das Geschehen verfremdend von Bayern nach Tübingen – just jener Stadt, deren Universität der heutige Papst einst frustriert verließ, weil Studenten seine Vorlesungen stürmten. Von dieser aparten Fügung konnte Schmid natürlich vorab nichts ahnen. Seine Heldin Michaela hätte an studentischen Protesten ohnehin kein Interesse gehabt. Das fromme Mädchen vom Land hat genug damit zu tun, endlich von ihrer dominanten Mutter los zu kommen. In der Uni fühlt sie sich zum ersten Mal ein bisschen frei, findet schnell einen Freund samt bester Freundin. Ihre epileptischen Anfälle jedoch werden schlimmer. Bald glaubt sich die Studentin immer mehr von Dämonen besessen. Bei ihrem alten Dorfpfarrer stößt sie zunächst auf Unverständnis. Sein junger Kollege jedoch beantragt beim Bischof einen Exorzismus. Michaela regiert zunehmend verstörter, wird noch verschlossener. Umgekehrt lässt keiner sie tun, was sie will. Die Mutter wirft sogar den neuen, kurzen Rock der Tochter auf den Müll: „Du bist noch immer eine Klingler!“ - „Hast du dir jemals überlegt, was ich will?“.
Wie der Hacker Karl in „23“, fühlt sich Michaela als Außenseiter, unverstanden und verfolgt. Und wie damals August Diehl und Franka Potente und Robert Stadlober, entdeckt Schmid, einen neuen Leinwandstar. Sandra Hüller, vielgepriesene Nachwuchsschauspielerin vom Theater, bietet eine grandiose tour de force, die von präzise kleinen Gesten der Verzweiflung bis zum großen, epileptischen Anfall reicht. Seine ‚weniger-ist-mehr’-Methode aus „Lichter“ reizt der Regisseur maximal aus, darauf setzend, dass die Zuschauer die Lücken selbst ausfüllen. Ein gemeinsam geschnittene Brotscheibe genügt da als Auftakt einer Lovestory. Ein kleines Küsschen vor dem von Platanen versteckten Hölderlin-Turm reicht als Zeichen dämmernder Leidenschaft. Unaufgeregt, unerbittlich zeigt er einen Abstieg in Wahnsinn und Besessenheit - dieser Teufelskreis wirkt ist allemal eindringlicher als eine voyeuristische Teufelsaustreibung à la Hollywood. Aber Vorsicht: Dieses ‚Requiem’ lässt einen so schnell nicht wieder los!
|